Auf die vielen Fragen von Eltern und anderen Erziehern, wie sie mit Wut, Zorn und anderen aggressiven Handlungen von Kindern und Jugendlichen umgehen sollen, gibt es keine eindeutigen Antworten. Zunächst ist wichtig, den Hintergrund des aggressiven Verhaltens zu suchen und zu erkennen. Darauf werde ich in mehreren Beiträgen eingehen.
Felix ist überfordert. Der Vater möchte, dass er gute Noten nach Hause bringt. Die Mutter will, dass er mehr im Haushalt hilft. In der neuen Schule muss sich der Elfjährige anstrengen, den Anforderungen des Gymnasiums zu genügen. Vor allem die Fremdsprache fällt ihm schwer. Im Sportverein gibt es einen neuen Trainer, der sehr viel strenger ist als der vorherige, und außerdem kriselt es mit seinem besten Freund und er weiß nicht, ob die Freundschaft hält. Hinzu kommt, dass der jüngere Bruder krank ist und die Aufmerksamkeit der ganzen Familie erfordert, so dass für Felix nicht viel übrig bleibt.
Jeder Aspekt einzeln wäre für Felix zu bewältigen, doch die Fülle dieser Anforderungen an ihn machten ihm zu schaffen. Und dann entsteht in ihm ein Gefühl, als wäre alles zu viel, und er wird aggressiv. Da äußert die Mutter eine kleine Bitte und sie erntet einen wütenden Blick und Beschimpfungen oder er schreit seinen Bruder an. Wenn solche akkumulierten, also gehäuften Überforderungen über einen längeren Zeitraum ein Kind belasten, dann kann sich dies in aggressivem und anderem herausfordernden Verhalten äußern.
Sie können als Eltern oder andere Begleitperson des Kindes allein oder mit dem Kind gemeinsam eine Pyramide aufzeichnen, in die Sie alles hineinschreiben, was Ihnen einfällt, was das Kind gerade überfordern könnte. Nehmen Sie schulische, private und anderes Aspekte, die Ihnen gerade einfallen, und schreiben Sie sie auf. Sie können sicher sein, dass es darüber hinaus noch weitere, eher geheime und intime Anforderungen gibt, die das Kind an sich stellt. Zum Beispiel ein guter Junge zu sein, den Papa und die Mama zu unterstützen, den kleinen Bruder zu beschützen und ähnliches mehr. Wenn Sie diese Überforderungspyramide mit all den Lasten, die auf das Kind drücken, vor sich sehen, wird es weder Ihnen noch dem Kind gelingen, diese Lasten insgesamt und zügig abzubauen. Sie können nur einen ersten Schritt unternehmen, aber der ist entscheidend. Wählen Sie eine Forderung, eine Last aus, die das Kind belastet. Ganz egal welche, es muss nicht die schwerste und aktuellste sein, sondern irgendeine, die Sie gemeinsam am ehesten und zügigsten abbauen können. Gehen Sie das an und dann kann die nächste Belastung folgen. Eine nach der anderen. Nicht alle Belastungen werden Sie beseitigen können. Aber einige. Und bei den Belastungen, die wie die Erkrankung des Bruders bestehen bleiben, können Sie überlegen, was Felix helfen könnte, den Druck zu vermindern. Zum Beispiel ein wöchentlicher „Felix-Nachmittag“ mit der Mutter oder dem Vater, bei dem Felix bestimmen kann, was sie unternehmen.
Wenn Sie so fortfahren, können Sie diese Quelle von aggressivem Verhalten verringern bis beseitigen.