Auf die vielen Fragen von Eltern und anderen Erziehern, wie sie mit Wut, Zorn und anderen aggressiven Handlungen von Kindern und Jugendlichen umgehen sollen, gibt es keine eindeutigen Antworten. Zunächst ist wichtig, den Hintergrund des aggressiven Verhaltens zu suchen und zu erkennen. Darauf werde ich in mehreren Beiträgen eingehen.
Sie kennen vielleicht das Gefühl, wenn Ihnen alles zu viel ist. Sie kommen vielleicht von der Arbeit und alles stürmt auf Sie ein – die Kinder, die Partnerin oder der Partner. Dann kommen noch Anrufe und Mails und dies und jenes. Sie sollen dies tun und auf jenes reagieren. Viele Geräusche, viele Anforderungen, viele Impulse – alles wird zu viel. Die meisten Menschen, und Sie vielleicht auch, reagieren dann gereizt, um sich zurückzuziehen, um sich den Stress „vom Hals“ zu schieben. Manche Kinder und Jugendliche spüren diese Überreizung nicht nur in besonderen Ausnahmesituationen, sondern fast alltäglich. Wir Menschen können nur einen Bruchteil der Impulse, die wir mit unseren Sinnen und unseren Wahrnehmungsorganen registrieren können, wahrnehmen und verarbeiten. Wir müssen filtern. Wenn wir dies nicht genug können, werden wir überfordert und überlastet.
Manche Menschen sind dünnhäutiger als andere. Einige Kinder und Jugendliche sind besonders sensibel und können Impulse anderer, zum Beispiel Geräusche, weniger von sich fernhalten als andere Menschen. So brauchen sie Schutz vor Überflutung und Pausen, in denen nichts auf sie einstürmt.
Solch hohe Sensibilität ist wertvoll im Umgang mit anderen Menschen. Sie können gut wahrnehmen und sich in andere hineinfühlen. Forderungen wie: „Sei doch nicht so sensibel!“, sind deswegen nicht nur falsch, sondern sogar schädlich, weil die Kinder erstens diese Forderung nicht erfüllen können – sie können ihre Sensibilität nicht steuern – und zweitens, weil damit etwas angegriffen wird, was auch zu den Kernkompetenzen der Kinder gehört. Die Kinder können sie zumindest später in allen Bereichen nutzen, in denen Verstehen und Verständnis für andere Menschen wichtig sind.
Wenn Kinder auf solche Überlastungen und Überforderungen durch ihre besondere Dünnhäutigkeit mit aggressivem Verhalten oder mit Rückzug reagieren, sollten wir Erwachsene dafür Verständnis haben. Aggressivität von hochsensiblen Kindern ist immer ein Zeichen dafür, dass zu viel auf sie hereinstürmt und dass sie Pausen und Rückzug brauchen. Wenn wir dies berücksichtigen und ihnen anbieten, können wir damit einer Quelle aggressiven Verhaltens allmählich die Kraft nehmen.