Die Trauer der Kinder ernst nehmen

Vor einigen Monaten hörte ich, dass die Erzieherin eines Kindergartens in Rente ging und sich von den Kindern ihrer Gruppe mit einer kleinen Feier verabschieden wollte. Sie sagte vorher den Kindern: „Wenn ihr nicht weint, dann bekommt ihr ein Geschenk.“ Welche ein Unglück. Warum sollen Kinder nicht weinen, wenn eine Erzieherin, die sie mögen und der sie verbunden sind, geht? Trauern ist das Gefühl des Loslassens. Die Kinder müssen diese Erzieherin loslassen und das ist traurig. Weinen ist ein Ausdruck dieser Traurigkeit und es ist gut, die Tränen zu zeigen.

Wenn Kinder das nicht dürfen, lernen sie, dass man nicht traurig sein darf oder dass man das nur heimlich tun sollte, dass man seine Gefühle nicht zeigen darf. Das ist schade und schädlich. Kinder müssen trauern dürfen.

Mit jeder Träne verlässt ein Stück des Kummers die Kinderseelen. Das ist gut, das hilft beim Loslassen. Kinder müssen viel loslassen: Da zieht die Familie um, da verlässt der Freund oder die Freundin die Schule, da stirbt die Oma, das trennen sich die Eltern, da bleiben Freund/innen beim Übergang von Kindergarten zu Schule zurück usw. Kindheit umfasst zahlreiche Abschiede. Das Loslassen der Kinder muss beachtet, ihre Traurigkeit gewürdigt werden.

Entscheidend ist, dass die Kinder beim Trauern nicht allein gelassen werden. Mit-Trauern hilft. Sätze wie „Das ist doch nicht so schlimm“, bagatellisieren. Für die Kinder ist es schlimm. Wichtiger sind Bestärkungen: Ja das ist schlimm. Ja, das finde ich auch traurig. Dann können Kinder im gemeinsamen Trauern loslassen, dann verliert sich die Trauer von alleine. Geteiltes Leid ist halbes Leid.

Rituale der Trauer und des Abschieds

Eine Klientin erzählte, dass sie als Kind die Oma tief und innig geliebt hatte. Doch plötzlich war die Oma weg. Sie war an einem Herzinfarkt gestorben. Zur Beerdigung durfte die damals Siebenjährige nicht mit. Die Eltern wollten ihr das „ersparen“.

Das war von den Eltern sicherlich gut gemeint, schadete aber dem Kind. Es konnte sich nicht von der Oma verabschieden. Deshalb blieb der Schmerz um den Verlust in ihr und belastete sie noch als erwachsene Frau.

Kinder brauchen Abschiede, Kinder müssen die Gelegenheit haben zu trauern. Sonst können sie nicht loslassen. Dazu helfen Rituale. Eine Beerdigung mit Trauerfeier ist ein solches Abschiedsritual. Ich bin noch keinem Kind begegnet, dem die Teilnahme daran geschadet hat. Wenn die Eltern dennoch sich darum sorgen, dann können andere Rituale helfen. Zum Beispiel:

  • Ein Klasse vermisst eine Lehrerin, die weggezogen ist, sehr. Sie stellen ein Bild von ihr in den Klassenraum und schicken ihr ab und zu einen Brief oder ein Bild, das die Klasse gemalt hat.
  • Für den verstorbenen Großvater richtet die Familie eine „Gedenkstelle“ auf einer Kommode ein. Die Kinder sorgen für frische Blumen. Ein Foto steht dort und seine Lieblingspfeife. Die Familie sammelt dort auch andere Andenken.
  • Ein Flüchtlingskind aus der Klasse wird mit der Familie am 13.4. abgeschoben und muss zurück nach Afghanistan. Die Klasse beschließt, immer am 13. des Monats einen Protestbrief an die zuständige Behörde zu schicken und den mit einem Gruß an das Kind und seine Familie: „Wir vergessen dich nicht!“

Solche und viele andere Rituale sind wichtig. Sie geben Halt und unterstützen das Trauern und Loslassen.

Der Brief an den Himmel

Rituale des Abschied-Nehmens erleichtern das Trauern und Loslassen für Kinder (und nicht nur für sie). Eine besondere Form sind Briefe, die an die Menschen und Lebewesen geschrieben oder gemalt werden, die den Kindern wichtig waren und sind. Einige Beispiele und Anregungen:

  • Nach 13 Jahren stirbt der Hund „Dorle“. Die Kinder sind traurig, ja untröstlich. Beide Geschwister malen für Dorle ein Bild und legen es mit in das Hundegrab.
  • Ines vermisst die Oma. Sie hat in einem Jugendbuch gelesen, dass in der jüdischen Tradition kleine Steine des Gedenkens Verstorbenen auf das Grab gelegt werden. Immer, wenn Ines an die Oma denkt und traurig wird, legt sie einen kleinen Stein aus dem Garten an die Lieblingsstelle der Oma, dort wo sie gern gesessen hat. Es entsteht eine kleine Steinpyramide.
  • Der Vater von Klaus ist weg. Auf Nimmerwiedersehen. Klaus weiß nicht, wo der Vater ist. Doch Klaus schreibt ihm Briefe. Dass er wütend ist und dass er ihn vermisst. Die Briefe schickt er nicht ab, er weiß ja nicht, wohin. Doch es tut ihm gut, zu schreiben.
  • Eine Lehrerin ist gestorben. Die Klasse schreibt gemeinsam einen Brief an die Lehrerin. Die Kinder verbrennen den Brief. Sie wünschen sich, dass der Rauch die Lehrerin erreicht. Ein Brief an den Himmel.
  • Ein 10jähriger Junge ist mit der Familie aus Syrien geflohen. Er hat Heimweh. Sein Vater schenkt ihm einen Stein, einen „Syrien-Stein“, einen „Heimat-Stein“. Der Junge bemalt ihn und bewahrt ihn neben seinem Bett auf.

Wenn Kinder von Menschen verlassen werden, bleibt oft noch Unerledigtes und Ungesagtes. Dafür einen Ausdruck zu finden, hilft.