Lust und Leid der Elterngefühle -Teil 1

Ich werde in Gesprächen mit Eltern oft nach Gefühlen gefragt, genauer gesagt nach dem Wechselspiel zwischen Eltern- und Kindergefühlen. Ich möchte dazu einiges grundsätzlich sagen und an Beispielen illustrieren.

Gefühle gehören zum Elternsein: die Gefühle der Eltern und die der Kinder, offene Gefühle und versteckte, angenehme und solche, die man am liebsten gar nicht spüren möchte. Gefühle machen Lust, wenn Eltern stolz sind auf ihre Kinder, wenn sie im gemeinsamen Spiel mit ihnen lachen, wenn sie sie trösten und sich freuen und anderes mehr. Gefühle können aber auch Leid ausdrücken und verstärken, wenn Eltern Mitgefühl mit ihren Kindern haben und mitbekommen, dass diese traurig sind oder leiden, wenn sie an Kinder „nicht herankommen“ oder sich ohnmächtig fühlen.

Warum gibt es Gefühle, warum sind sie wichtig? Gefühle sind Impulse, die spontanes Handeln hervorrufen. Wenn ich Angst habe, ziehe ich mich zurück und bin vorsichtig; wenn ich mich ärgere, möchte ich etwas verändern, mich oder andere oder eine Situation; wenn ich Sehnsucht habe oder liebe, zieht es mich zu anderen hin; wenn ich mich ekle, möchte ich etwas von mir geben, ausspeien, was unbekömmlich ist … Für langfristige Planungen brauchen wir Menschen unseren Verstand, doch für den Impuls, überhaupt zu planen, und vielleicht auch für die Beharrlichkeit, dabei zu bleiben, brauchen wir unsere Gefühle. Die Gefühle sind wichtig und notwendig, um Beziehungen zu konstituieren, um aus einem bloßen Kontakt Begegnungen entwickeln zu lassen, in denen Gefühle sichtbar, spürbar und austauschbar werden. Ohne guten Gefühlsaustausch gibt es keine guten Familienbeziehungen.

Einige Beispiele für Eltern- und Kinder-Gefühle:

Toms Eltern sind genervt. Ihr Sohn ist „zu empfindlich“, das denken sie und das hören sie von anderen. Oft wirkt er „zu“ ängstlich, manchmal auch „zu“ traurig, „zu“ laut usw. … Sie sagen ihm oft: „Stell dich doch nicht so an. Das ist doch alles nicht so schlimm.“ Doch sie kommen damit nicht an. Tom zeigt starke Gefühle und das ist gut so. Er kann das nicht kontrollieren, er kann das nicht steuern. Und das macht ihm und den Eltern Schwierigkeiten. Die Eltern sind hilflos, sie können damit nicht umgehen. Das „zu“, das viele Eltern äußern und viele Kinder hören müssen, ist Ausdruck dieser Hilflosigkeit. Toms Gefühle sind nicht „zu“ stark, denn Gefühle haben kein Maß. Die einen fühlen intensiver, die anderen weniger; die einen zeigen mehr ihre Gefühle, andere verstecken sie oder äußern sie nur beiläufig; das ist bei den Menschen verschieden. Doch es gibt kein objektives oder allgemeingültiges Maß. Wie kann es ein Maß für die Liebe geben? Welches Maß hat die Trauer? Wenn Eltern genervt sind und die Gefühle der Kinder als „zu“ stark empfinden, dann ist das nur ein Ausdruck davon, dass sie selbst sich mit diesen Gefühlen hilflos fühlen. Den Eltern hilft es, sich selbst mit ihren Gefühlen zu beschäftigen, mit ihrer Trauer, mit ihrem Ärger, mit ihrer Sehnsucht, mit all dem, was sie bewegt. Wenn sie ihre eigenen Gefühle akzeptieren können, finden sie auch Wege, sie auszudrücken und mit anderen zu teilen. Das hilft ihnen und ihren Kindern.