„Sei doch nicht so empfindlich!“

Eine Mutter erzählt: „Meine Tochter ist unglaublich sensibel. Sie nimmt sich alles total zu Herzen, weint oft, kann nie mal etwas einfach so stehen lassen. Und dann regt sie sich auf und bekommt sich kaum noch ein. Was kann ich tun, dass sie nicht mehr so empfindlich ist?“

Zuerst einmal ist wichtig, dass Sie versuchen, Ihre Tochter zu verstehen. Sie lieben Ihre Tochter, sonst würden Sie nicht fragen. Das ist schon mal der entscheidende Boden, auf dem sich alles Weitere entwickeln kann.

Wir Menschen haben die Fähigkeit, uns in andere hineinzuversetzen und mitzufühlen. Nicht nur das Lachen ist ansteckend, auch das Weinen, nicht nur die Freude, sondern auch der Schmerz. Manche Kinder haben größere Fähigkeiten dazu als andere. Manche sind sehr empfindsam, andere weniger. Offenbar ist Ihre Tochter im besonderen Maße sensibel. Die Wörter sensibel oder empfindlich haben im Alltag oft einen negativen Beigeschmack. Mit ihnen verbindet man zumindest einen Hauch von Abwertung und von „zu“ … Ich schlage deswegen eher das Wort empfindsam vor. Empfindsam zu sein, ist eine nützliche Fähigkeit, weil wir dadurch auch fähig sind, Mitgefühl mit anderen Menschen zu empfinden und nicht roh werden und die Schmerzen oder sonstigen Gefühle anderer gar nicht spüren. Die Empfindsamkeit unterscheidet Menschen von Robotern und Maschinen und das ist gut so. Es kann also bei Ihrer Tochter gar nicht darum gehen, ihre Empfindsamkeit „loszuwerden“ und auch nicht darum, sie zu reduzieren (das gelingt nur sehr selten), sondern eher darum, wie sie damit umgehen kann. Das wird sie allein nicht lernen und üben können, dazu braucht sie Sie.

Das Wichtigste ist, dass Sie die Empfindsamkeit Ihrer Tochter grundsätzlich akzeptieren und ihr das zeigen. Der zweite Schritt besteht dann darin, mit ihr gemeinsam auf die Suche zu gehen, was sie tun kann, wenn sie von ihren Gefühlen überwältigt wird. Vielleicht braucht sie mehr Abstand von dem, was der Anlass ihrer Gefühle war oder ist. Gelegentlich hilft Ablenkung. Vielleicht ist es ihr wichtig, ihre Gefühle auszusprechen und im Kontakt mit Ihnen zu zeigen und sich mit Ihnen darüber zu unterhalten – gehen Sie mit Ihrer Tochter gemeinsam auf die Suche und Sie werden gemeinsam Schritte und Wege finden.

Und überlegen Sie auch, was Ihnen gut tut, was Sie brauchen. Wenn die Atmosphäre immer wieder sehr emotional aufgeladen ist, dann benötigen auch Sie als Mutter Pausen und etwas inneren und oft auch äußeren Abstand. Damit lassen Sie Ihre Tochter nicht im Stich, sondern schöpfen Kraft, um sie zu begleiten und zu unterstützen. Probieren Sie aus, was Sie brauchen und nehmen Sie alle Impulse und Ideen ernst, auch wenn Sie Ihnen am Anfang etwas seltsam vorkommen.