Wenn ich mit meiner Tochter morgens in die Kita fahren will, dann trödelt sie immer herum. Das ist manchmal zum Verrücktwerden. Ich muss doch zur Arbeit und vorher das Kind zur Kita bringen, aber sie will immer noch mal mit ihrer Puppe spielen und sie umziehen und dies und jenes. Sie sagt mir immer, sie kommt gleich, aber „gleich“, das kann manchmal ewig dauern. Ich schimpfe dann und drängele und es schaukelt sich hoch und am Schluss weint sie und ich packe sie am Arm und dann ist der Morgen gelaufen.
Was diese Mutter erzählt, geschieht in vielen Familien. Um es zu verstehen, ist es wichtig, dass wir wissen, dass es zwei unterschiedliche Arten von Zeiterleben gibt. Wir Erwachsenen und ältere Kinder kennen die Zeit der Uhr, in der Sekunden, Minuten und Stunden vorgegeben werden und die objektiv für alle ist. Nach dieser Uhr müssen wir uns richten, wenn wir zur Arbeit wollen oder einen Zug erreichen möchten. Und dann gibt es das subjektive Zeiterleben, das bei jedem Menschen verschieden ist. Ein Tag kann manchmal sehr langsam vergehen und dann wieder sehr schnell. Eine Arbeitsbesprechung kann sich ziehen und ziehen, während ein Urlaubstag „wie im Flug“ vergeht.
Kinder kennen vor allem dieses zweite, dieses subjektive Zeiterleben, und orientieren sich danach. Das objektive Zeiterleben ist ihnen noch fremd. Vielleicht haben sie es gelernt, aber es ist ihnen noch nicht „in Fleisch und Blut“ übergegangen. Wenn Ihre Tochter sagt, sie komme gleich, dann meint sie „gleich“ im Sinne des subjektiven Zeiterlebens, aber nicht im Sinne von „fünf Minuten“.
Wenn Sie als Mutter sagen, in fünf Minuten müssen wir gehen und du musst noch deinen Mantel anziehen und deine Schuhe, dann hört Ihre Tochter das, versteht es aber oft nicht. Sie achten auf die Uhr, für Ihre Tochter ist die subjektiv erlebte Zeit wichtiger und entscheidend.
Diesen Unterschied zu kennen, löst das Problem nicht, aber es kann zumindest einen kalten Krieg oder einen heißen Kampf verhindern. Irgendwann wird Ihre Tochter auch lernen, sich nach der objektiven Zeit zu richten, spätestens wenn sie zur Schule geht. Doch jetzt können Sie nur versuchen, sie in ihrem subjektiven Zeiterleben anzusprechen. Sagen Sie nicht, wir müssen in fünf Minuten los, sondern sagen Sie, du kannst noch einmal deiner Puppe die Haare kämmen und dann musst du deinen Mantel und deine Schuhe anziehen.
Versuchen Sie es.