7 Tipps für Eltern, deren Kinder an Neurodermitis leiden

von Gabriele Frick-Baer und Udo Baer

Als die kleine Nicole im Kinderwagen durch die Straßen geschoben wurde, blieben Leute erschrocken stehen, starrten neugierig oder mitleidig auf ihr gerötetes und verletztes Gesichtchen und fragten: „O Gott, wie sieht das Kind denn aus?“ Peter, wie Nicole an Neurodermitis erkrankt, traute sich im Kindergarten nicht, beim Fangen mitzuspielen. Denn Fangen ist Berührung und Berührungen schmerzen. Neurodermitis ist nicht nur eine Erkrankung des Immunsystems und der Haut, die wund ist, unerträglich juckt, auf alles Mögliche allergisch reagiert. Neurodermitis hat auch Folgen für die Beziehungen der erkrankten Kinder zu anderen Menschen. Hat Auswirkungen auf die Beziehungen der Eltern, die nachts stündlich aufstehen, um das Kind daran zu hindern, sich am ganzen Körper blutig zu kratzen, deren Leben sich um die Krankheit zu drehen beginnt und die kaum noch Zeit und Aufmerksamkeit füreinander haben.

Auf die Beziehungen zum Kind und der Eltern untereinander verweisen die Tipps, die Gabriele Frick-Baer und Udo Baer geben. Sie sind Therapeutin sowie Therapeut und haben zahlreiche Fachbücher veröffentlicht. Und sie sind Eltern eines Kindes, das unmittelbar nach der Geburt an Neurodermitis erkrankte. Beide machten wie viele Eltern die Erfahrung, dass Ernährungsumstellung und Salben nicht reichten, mit der Erkrankung und ihren psychosozialen Folgen fertig zu werden. Aufgrund ihrer persönlichen Eindrücke und der Erfahrungen aus zahlreichen Gruppen mit Eltern erkrankter Kinder entstanden die folgenden Empfehlungen.

  1. Klarheit und Eindeutigkeit

Die Kinder brauchen klare Aussagen. Eine Frage muss eine Frage sein, eine Regel eine Regel, eine Anordnung eine Anordnung. Das muss man üben, denn wir Erwachsenen neigen zu Unklarheiten und Uneindeutigkeiten („Kannst du bitte mal aufräumen?“, wenn wir eigentlich meinen: „Räume jetzt dein Spielzeug weg!“)  Kinder mit Neurodermitis sind zutiefst verunsichert. Grundlegend und nahezu immer. Alles, was von außen kommt, kann unerträgliches Jucken auslösen. Das verunsichert. Deshalb brauchen die Kinder in allem einen festen Rahmen als Sicherheit. Dieser Rahmen sind Sie in ihrer liebevollen Klarheit und Eindeutigkeit.

Viele Kinder lieben Wiederholungen: immer die gleiche Geschichte am Abend, dieselbe Kassette, dasselbe Spiel. Neurodermitis-kranke Kinder brauchen dies. Wiederholungen und Rituale schaffen einen klaren und sicheren Rahmen, geben eine eindeutige Struktur des Tages.

  1. Von der Krankheit wegschauen

In Familien mit einem neurodermitischen Kind dreht sich alles um die Krankheit. Viele Eltern sind ständig auf dem Sprung, um darauf zu achten, dass sich das Kind nicht kratzt, nichts Falsches isst oder berührt. Damit wird die Krankheit zum Familienoberhaupt. Dem gilt es entgegenzusteuern. Also: Ignorieren Sie die Erkrankung, so gut Sie können! Natürlich müssen Essensregeln eingehalten werden, nachlässiges Überwachen kann schließlich schlimme Folgen haben. Aber übersehen Sie das Kratzen. Wenn Ihr Kind sich kratzen will, schafft es das. Sie ziehen sowieso den Kürzeren. Also schauen Sie darüber hinweg. Fragen Sie lieber das Kind, was es im Kindergarten erlebt hat … Das fällt anfangs schwer, hilft aber sehr.

  1. Wertschätzung zeigen

Ihr Kind spürt in seinem Inneren: Ich bin anders als die anderen; ich verursache Tränen, Sorgen und Stress. Eltern lassen sich manchmal in ihrer Hilflosigkeit zu Äußerungen hinreißen wie: „Nun hör doch endlich mal auf zu kratzen!“ Dabei ist das Kratzen keine Frage des Willens und kann durch Aufforderungen nicht gestoppt werden. Im Gegenteil: Solche Aufforderungen wirken auf das Kind wieder als Bestätigung: Ich mache etwas falsch und, schlimmer noch, ich bin falsch. Deswegen: Versichern Sie Ihrem Kind, dass Sie es schätzen und gern haben und was es ganz konkret gut und richtig macht. Immer wieder, das ist nie oft genug.

Sicher ist Ihr Kind sehr empfindsam. Kinder, die an Neurodermitis leiden, sind hochsensibel. Ob diese „Dünnhäutigkeit“, diese hohe Empfänglichkeit dafür, was „in der Luft liegt“, zur Erkrankung beigetragen hat oder sich erst in Reaktion auf sie entwickelt hat, ist dabei unerheblich. Wichtig ist, dass die Kinder nicht als „zu empfindlich“ kritisiert werden, sondern ihre Sensibilität als Begabung anerkannt wird. Sie kann den Kindern später nutzen, aber nur, wenn sie wohlwollend unterstützt wird.

  1. Erregung austoben

Kinder mit Neurodermitis sind erregt, hocherregt. Vielleicht entspricht das ihrem Grundtemperament – aber auch das ruhigste Naturell wird dauerhaft erregt, wenn die Haut ständig juckt, wenn man sich fühlt, als könne man ständig „aus der Haut fahren“. Oft versuchen Eltern, dem durch Entspannung gegenzusteuern, indem zum Beispiel abends nur noch ruhige und nicht aufregende Geschichten vorgelesen werden. Manche Kinder sprechen auch gut auf Entspannungsübungen an. Doch wir wissen, dass bei vielen die innere Erregung so groß ist, dass sie spätestens durchbricht, wenn das Kind allein im Bett liegt. Raus mit der Erregung! Bei Sport und Spiel, beim Toben, Tanzen und Musizieren. Viele Eltern haben verständlicherweise Angst, dass die Kinder dann „nicht mehr herunterkommen“. Das mag bei den ersten Austobe-Versuchen so sein, danach reguliert das Kind selbst, was es an Entspannung und Ausagieren braucht.

  1. Kratzen umleiten

Kratzen Sie über Ihren Unterarm und lauschen Sie den Geräuschen, die dabei entstehen. Und dann setzen Sie das Experiment fort: Nehmen Sie eine Zeitungsseite und zerreißen Sie sie sehr langsam. Die Geräusche beider Tätigkeiten ähneln sich. Auf diesen Zusammenhang haben uns erkrankte Kinder gebracht, die mit großer Begeisterung Zeitungspapier zerrissen – und dabei das Kratzen vergaßen. Zeitungspapier zu zerreißen ist für viele eine wirkungsvolle Möglichkeit, die Kratzimpulse umzuleiten. Manchen Kindern hilft es, wenn sie beim Einschlafen Prospekte aus Zeitungen in das Bett gelegt bekommen. Sie greifen dann bei Kratzattacken zum Papier und reißen.

Manche Kinder leiten das Kratzen um, indem sie Kissen kratzen oder auf Musikinstrumenten ähnliche Geräusche entstehen lassen. Gehen Sie mit Ihren Kindern auf die spielerische Suche nach ihrem „Statt-Kratzen-Element“.

  1. Anpacken und drücken

Kinder mit dieser Erkrankung haben ein doppeldeutiges Verhältnis zu Hautkontakten. Diese Zwiespältigkeit ist erklärlich. Sie kennen ihre Haut vor allem als Organ unerträglichen Juckreizes und starker Schmerzen. Ist die Haut hocherregt, sind sanfte Berührungen nicht aushaltbar. Folglich werden Berührungen abgelehnt. Und gleichzeitig sehnen sich alle Kinder nach sanfter Berührung und Zärtlichkeit. Ist die Erregung und Spannung „ausgetobt“ und die Haut ruhig, ist sie manchen Kindern möglich. Andere, nach unseren Erfahrungen die meisten, brauchen zuerst einmal eine andere Art von Hautkontakt: ein klares und eindeutiges Anpacken. Ähnliche Erfahrungen haben Sie vielleicht auch gemacht: Wenn Sie an den Füßen sehr kitzlig sind, zucken Sie bei leichten Berührungen oder schlagen gar um sich. Werden Sie aber fest angepackt, ist die Berührung nicht nur aushaltbar, sondern oft sogar wohltuend.

Eine Form des Anpackens ist das Drücken. Das machen die erkrankten Kinder besonders gern: Armdrücken, Rückendrücken, Händedrücken, Bauchdrücken, Kopfdrücken, Wegdrücken, Herandrücken usw., in allen Varianten, die die Spielfantasie hervorbringt. So kann die Erregung des Kindes nicht nur „heraus“, sie spürt ein Gegenüber und Ihr Kind macht endlich einmal positive Erfahrungen mit seiner Haut.

  1. Für sich sorgen

Viele Eltern gehen auf in der Sorge um ihr erkranktes Kind. Mütter geben sogar ihr „eigenes Leben“ auf, die Ehe dreht sich nur noch darum, wie dem Kind geholfen werden kann. Diese Haltung entspringt schätzenswertem und verständlichem Mitgefühl.

Doch tut es keinem Kind gut, so sehr im Mittelpunkt zu stehen, so viel Verantwortung für das Wohlergehen der Eltern zu tragen. Irgendwann sind auch Ihre Kräfte erschöpft, die Reserven aufgebraucht. Wer alles gibt, weiß irgendwann nicht mehr, wer er ist.

Deshalb empfehlen wir dringend, dass Sie als Eltern auch für sich sorgen. Trauen Sie Ihr Kind einen Abend in der Woche oder ein ganzes Wochenende Verwandten oder Freunden an, schlafen Sie einmal richtig aus oder unternehmen Sie, was Ihnen Spaß macht. Das hilft auf Dauer auch Ihrem Kind.