Scham und Verantwortung
Marco sitzt auf der Fensterbank, im dritten Stock, und die Mutter hat Angst, dass er hinunterspringen möchte. In meiner Begleitung von Marco wird deutlich, dass er sehr bemüht ist, die Mutter zu retten. Der Vater ist weg und Marco schämt sich. Der Vater hat die Familie verlassen, die Mutter ist traurig und weint. Marco ist nun „der Mann im Haus“. Marco versucht, den Kummer der Mutter wegzubekommen und Verantwortung zu übernehmen – doch dabei muss er scheitern. Dafür ist er zu jung. Den Niedergang der Ehe seiner Eltern müssen die Eltern verantworten und nicht er. Sein Scheitern führt Marco dazu, dass er so verzweifelt ist. Hier war es wichtig, dass ich sowohl der Mutter als auch Marco gegenüber die Verantwortlichkeiten klar zu benannt habe. Die Erwachsenen sind verantwortlich für ihre Beziehungen und die Kinder für ihre. Beide brauchen Unterstützung, aber die Kinder dürfen nicht die Verantwortung für die Eltern übernehmen. Doch sie tun es, weil sie die Eltern lieben, unendlich und nachhaltig. Und sie scheitern immer wieder, den Kummer der Eltern oder von Elternteilen zu beseitigen. Deswegen brauchen Kinder wie Marco die Ansage: Du hast nicht Schuld!
Der zweite Aspekt war Marcos Scham. Er schämte sich, dass die Familie „kaputt“ war. Für diese Scham hatte er keine Worte, wie viele andere Kinder und Erwachsene auch.
Also braucht er Erwachsene, die dafür Worte finden. Ich habe ihm davon erzählt, wie und worüber ich mich schäme und in seinem Alter geschämt habe. Das bewirkte eine Veränderung, seine Scham schmolz ab. Als Eltern helfen Sie Ihren Kindern, wenn auch Sie über ihre Gefühle reden, z. B. die Scham, z. B. die Trauer, den Ärger, die Sehnsucht. Das öffnet für die Kinder Türen und stärkt die Beziehung zwischen Ihnen und dem Kind.