Nie glaubst du mir!

Mein Sohn schrie mich letztens an: „Nie glaubst du mir!“ Er ist acht Jahre alt. Eigentlich haben wir ein gutes Verhältnis. Ich war und bin sehr erschrocken. Denn natürlich glaube ich ihm, wenn er mir etwas erzählt. Aber Lügen kann ich nicht leiden und da streiten wir.

Für Kinder ist es ein sehr hohes Gut, dass man ihnen glaubt. Wenn sie sich zum Beispiel über Ungerechtigkeit empören, die ihnen oder Freund*innen in der Schule widerfahren ist, dann ist es wichtig, ihnen zu glauben und nicht gleich etwas zu bewerten oder zu regeln und nach dem zu fragen, was die Kinder vielleicht falsch gemacht haben usw. Die Glaubwürdigkeit des Kindes, die es erlebt, hängt oft mit dem Gefühl zusammen, dass die Eltern parteiisch sind für das Kind und an seiner Seite stehen. Das ist für eine gute Entwicklung existentiell notwendig.

Doch gibt es Kleinigkeiten oder auch manchmal größere Geschichten, die ich auch als Erwachsener einem Kind nicht glaube oder glauben konnte. Das geschieht viel seltener, als man als Erwachsener denkt. Kinder haben noch wenig Erfahrung mit der Realität. Sie müssen sich vieles vorstellen, vieles fantasieren, wie etwas ist, wie etwas zusammenhängen könnte, welche Gründe für das eine oder andere Ereignis vorliegen und dergleichen mehr. Also fantasieren sie, imaginieren sie mit ihren Vorstellungen, mit ihrer Fantasie und erfinden Geschichten. Das ist eigentlich eine gute Eigenschaft, denn das ist Ausdruck der Kreativität der Kinder. Und doch kann sie dazu führen, dass Geschichten erzählt werden, die schlicht und einfach nicht wahr sind. Für die Kinder mögen sie wahr sein, aber nicht für die Erwachsenen. Da hilft ein Augenzwinkern. Genauso wie bei Notlügen, wenn Kinder etwas vergessen haben und sich dann irgendwie herausreden wollen, ist es ganz gut, eher zu schmunzeln als gleich die Keule herauszufahren: „Du darfst nicht lügen!“ Doch wenn Sie selbst spüren, dass Unwahrheiten sich wiederholen und Sie sich davon betroffen und verletzt fühlen, dann äußern Sie das auch dem Kind gegenüber. Zum Beispiel: „Ich habe den Eindruck, dass du mir schon wieder die Unwahrheit sagst, und das verletzt mich. Ich möchte wissen, woran ich bei dir bin!“

Nehmen Sie das Kind ernst, mit seinen Fantasien und seinem Bedürfnis nach Glaubwürdigkeit, UND nehmen Sie sich ernst!